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Wie klingt eine Stadt, die von ihrer Bevölkerung verlassen wurde, wie kann eine Sprache erfunden werden, die das Leiden der Anderen nicht ignoriert, welche Lieder des Heimwehs werden erst in der Migration komponiert, wie kann schreibend eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft gebaut werden und wie klingt das neue Lied in der Fremde, nachdem die Klänge der Jahreszeiten in der Erinnerung verblassen? Während einem Jahr haben die IBK-Künstlerinnen und Künstler in einem Workshop mit Usama Al Shahmani und für sich allein neue Texte geschrieben, frei in Themenwahl, Form und Stil: ein Musikmagazin, in dem eine neue Komposition zu einem Gedicht besprochen wird, ein fiktives Interview, in dem die eigene Künstlerbiographie erzählt wird, ein Song, eine Reportage oder musikalische Lyrik. Persisch, Kurdisch, Türkisch, Arabisch, Spanisch, Englisch und Deutsch. Dazu komponierten die Künstlerinnen und Künstler Musik, wählten eigene Songs oder Musik von Freundinnen und Freunden aus, mischten Sprache und Musik mit Geräuschen und bewegten sich so erstmals im Medium der musikalischen Kurzhörspiele, künstlerisch und technisch unterstützt von Erik Altorfer, Rami Msallam und Anna Bertram.




 

Musik gegen alle Widerstände 

Abathar Kmash

Als Kind wollte Abathar Kmash Oud spielen und nur die heimliche Unterstützung seines Bruders ermöglichte ihm, seine Leidenschaft zu verfolgen und später in Damaskus zu studieren. Nach seinem schwierigen Beginn wollte er anderen helfen, leichter den Zugang zur Musik zu finden. Am Anfang des Krieges unterrichtete er Kinder zu Hause, das Gästezimmer war wie eine Schule. Er gründete ein Mädchenorchester, das auch dort probte. Manchmal waren 35 Mädchen da (die Hälfte des Orchesters), und die Mutter kochte Tee für alle. Danach gründete er in seiner Stadt Sweida eine Musikschule und eine Band, in der die Kinder (7 Mädchen, 2 Jungen) ihre Stücke selber komponierten. 

Zu Beginn seiner Zeit in Deutschland war er als Zuschauer in einem Konzert und wurde in der Pause aufgefordert, im zweiten Teil mitzuspielen. Ein Schlüsselerlebnis. In der Folge knüpfte er viele Kontakte und spielte überall Konzerte. Er setzte sein Studium fort und begann auch zu unterrichten.

Es störte und irritierte ihn sehr, dass er bei den ersten Konzerten in Deutschland beim Publikum auf grosses Interesse stiess, aber von der Kritik auf seine Fluchtbiographie reduziert wurde. Schliesslich konnte er dann doch erreichen, auch in der Presse als Musiker respektiert zu werden. 

Abathar Kmashs Traum ist die Gründung einer orientalischen Musikschule in Deutschland, die den gleichen Namen wie ein Ensemble von Abathar tragen soll: Ogaro (Ugaritisch «Feld»). Dort will er Kinder helfen, selber zu komponieren und so eine eigene musikalische Stimme zu finden.


 

Gurbet Türküleri: Lieder des Abschieds

Berivan Karaman Altun

Vor genau 61 Jahren begann die Arbeitsmigration von der Türkei nach Europa: viele tausend Arbeiterinnen machten sich am Sirkeci Bahnhof in Istanbul auf die lange Reise. In ihren Volksliedern bringen sie die Sehnsucht nach ihrer Heimat, ihren hinterlassenen Familien, ihre Einsamkeit und Ängste zum Ausdruck.
Kommt und hört euch eine solche Trennungsgeschichte an.
Es ist unsere Geschichte. 

Text: Berivan Karaman Altun
Komposition: Deniz Celal Gezer, Dr Atınç Emnalar, Aşık Beyhani|
Mit: Berivan Karaman Altun
Gesang: Arif Altın


 

Thema und Variationen zu «Lo Fatal» von Rubén Darío

Luis Fernando Hidalog Gutierrez

Das Gedicht des nicaraguanischen Lyrikers Rubén Darío übt eine starke Faszination auf Luis Fernando Hidalgo Gutierrez aus. Es beschreibt das Sterben als natürlichen Prozess, ruhig, ohne Sorge und Angst. Vom Inhalt und dem Rhythmus geleitet hat der Bassist für dieses Gedicht ein musikalisches Thema mit Variationen geschrieben.


 

Henüz Cok Erken (ES IST ZU FRÜH)

Serenat Ezgican Akkurt

Die Evolution des Menschen. Seine Wildheit, seine Verabschiedung von der Natur, und wie er sich in der Zivilisation verliert, jagt, tötet, lebt und überleben lässt. 
Ich habe meinen Text auf türkisch gesprochen. Die Musik habe ich komponiert, gespielt und gesungen, mit dem Text gemischt und so alle Elemente miteinander in Einklang gebracht.


 

Auf meinem Weg sang ich ein Lied

Kamran Raman

Wir alle tragen unseren Rucksack. Hinter unseren Gesichtern verbergen sich viele Geheimnisse, großartige und bittere Erfahrungen. Es ist tragisch, dass wir dieselben Worte verwenden, um unsere kleinen und grossen Schmerzen und unsere tiefen Wunden zu beschreiben und auszudrücken. Wer weiß, vielleicht verstehen wir deswegen das Leiden der Anderen nicht und ignorieren es einfach. Wir brauchen dringend neue Wörter, Musik, Klänge oder gar Geräusche, die uns helfen, unsere Gefühle so auszudrücken, wie sie sind.


 

Ghost Town 

Lynn Aineo

Das ist Ghost Town - ein Stück, das von einer subtilen Art von Egoismus inspiriert wurde, der sich oft geschickt in einer Reihe von flüchtigen Momenten des Glücks versteckt, die absichtlich wie Brotkrümel entlang eines Weges gelegt werden, der verspricht, dich nach Hause zu bringen. Aber das Zuhause ist ein Paradies, das nur in deinen Gedanken lebendig ist.


 

Tagebuch eines Fremden

Moaz Al Shamma

Erinnerungen. Ich suche nach einer Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Ich versuche, die Zeiten miteinander zu verbinden, damit sich ein verstreuter Charakter wieder zusammenfügen kann. Um mich wieder zu spüren, muss ich schreiben. Ich bin mit dem Schlauchboot nach Europa gekommen. Jetzt brauche ich ein Wörterboot, damit ich in meiner Fantasie und in den Träumen wieder segeln kann. 

 

Stasyonên 

Nihad Sayed Khalil

Die Erinnerung an die Jahreszeiten: im Winter sind die Kinder im Haus, die Grossmutter erzählt Geschichten, der Regen wäscht die Sorgen weg. Tanzend und singend wird der Frühling gefeiert, im Sommer sind die Schafe auf dem Feld, in der Nacht schlafen alle unter dem Sternenhimmel, der Wind wirbelt im Herbst die Blätter umher, der Geruch der Erde nach dem Regen. 

Nach der Flucht versiegen die Klänge der Jahreszeiten, und in der Schweiz beginnt ein neues Lied.


 

 

Schwarz oder rot. Leben oder Tod.

Paria Tavakoli

Drei Hörbilder: persisch-deutsch-persisch.
Die Gefühle, die ich hatte, als ich mich von meiner Heimatstadt verabschiedete, als ich durch ihre Gassen und Sackgassen ging, durch Gebäude, mit denen ich Erinnerungen verbinde, der Schmerz der Trennung von all diesen Habseligkeiten und das Gefühl der Fremdheit in der neuen Heimat. 
Meine Sicht auf den Krieg als Grund für die Emigration und das Leiden der Emigrantinnen und Emigranten nach der Auswanderung. Aber am Ende bilden sie sich weiter und versuchen, ihre Ziele zu erreichen, so, wie es das Singen für eine Sängerin und einen Sänger ist. 
Einsamkeit. Mit diesem Schlüsselwort können alle Gefühle, die Emigrantinnen und Emigranten nach der Migration zurücklassen, beschrieben werden.

 

 

Die Wand. Der Ton. Die Stadt

NATION ZERO

Wand, Boden, Dach. Ein Haus. Gebäude stehen in Beziehung zu einer Stadt. Rhythmus der Architektur, Sequenzen der Strassen, Dynamik der Menschen. Was ist die Musik einer Stadt? 
Und was heisst es, wenn alle Menschen weg sind und niemand der Architektur zuhören kann?